Der erste und letzte Hofball.

Novellette von Ralph von Rawitz
in: „Deutsches Volksblatt” vom 10.02.1909


In dem kleinen hellblauen Salon, aus dessen Fenstern man auf die verschneiten Parkanlagen der herzoglichen Residenz sehen konnte, eng aneinander geschmiegt auf einem zierlichen Rokoksofa saßen zwei junge Damen. Die ältere, brünette, erzählte lebhaft und die jüngere, blonde, warf hin und wieder Fragen dazwischen.

„Ich sage dir, du wirst dich großartig amüsieren”, rief Herta v. Trollendorf, „ganz einzig! Kavalierbälle, Kasinobälle, Juristenbälle — alles ist ja sehr nett, aber doch nicht im mindesten mit cinem Hofballe zu vergleichen. Ich habe es nun schon zwei Jahre mitgemacht und kenne alles aus eigener Erfahrung.”

„Und es ist gar nicht steif?” fragte Karin v. Fries, „o Gott, ich habe so schreckliche Angst!”

„Du hättest doch eigentlich am wenigsten Grund, dich zu fürchten!” entgcgnete Herta. „Was sollen denn die anderen jungen Mädchen sagen, die keine Beziehungen haben? Dein Papa ist doch Geheimrat und deine Großmama ist sogar erste Hofdame der Herzogin Natalie.”

„Ja, es ist wahr, Herta! Aber du irrst sehr, wenn du glaubst, daß ich deshalb mehr vom Hofleben gehört habe als andere. Papa interessiert sich ohnehin nicht sehr dafür, ist auch in seinem Ministerium zu sehr in Anspruch genommen. Großmama aber ist ganz alte Schule: sie würde es für ein Staatsverbrechen halten, mir etwas aus den intimen Hofzirkeln mitzuteilen. Das dürfen nur eingeweihte Ohren hören, ich bin aber für sie noch ein Gänseblümchen.”

„Du tust deiner lieben Großmama unrecht, Karin. Sie will dir vielleicht deine ganze Unbefangenheit erhalten. die bei Hofe so selten ist. Und sie ist es doch auch gerade gewesen, die es bei deinem Papa durchgesetzt hat, daß du diesmal zu Hof gehst. Du wirst natürlich der Herzogin vorgestellt werden.”

„Und der Herzog?”

„Läßt sich die jungcn Damen nicht präsentieren und plaudert nur mit den alten Exzellenzen. Meistens hält er Cercle im Marmorsaal, während die Jugend in der Muschelgalerie tanzt.”

„Ach, das wird großartig werden, so dahinzuschweben! Weißt du aber auch, Herta, woraus ich mich am meisten freue?Auf meines Vetters Erich Gesicht! Er hat keine Ahnung, daß ich zu Hof gehe! O, er wird Respekt bekommen, wenn er mich in der großen Hofrobe sieht.”

„Nicht wahr, er ist jetzt Adjutant der Leibulanen?”

„Das ist er wnd einen Orden hat er auch schon. Je mehr er aber erreicht, desto hochmütiger benimmt er sich gegen mich. Ich bin immer noch seine „kleine, dumme Putte”, gerade so, als ob ich vierzehn Jahre alt sei. Aber ich bin doch schon achtzehn!”

„Du mußt ihn recht schlecht behandeln, Karin! Die Männer können zu viel Freundlichkeit nicht vertragen. DEu bist zu gut gegen ihn!”

„Vielleicht hast du recht,” seufzte die hübsche Blondine, „aber ich bin ihm doch so gut. Sieh, Herta, wir kennen uns seit frühester Kindheit.”

„Das mag sein, aber trotzdem solltest du ihn dir zähmen. Einen fündundzwanzigjährigen Leutnant würde ich sehr rasch kirre machen.”

Karin neigte das Köpfchen und dachte nach. Herta blätterte in einem Album; das Gespräch wendete sich dann auf die Toiletten und Herta versicherte, ihr selbst, zu ihrem dunklen Haar, stehe Weiß am besten. Karin aber müsse Rosa wählen, dann würde sie himmlisch aussehen.

Zu derselben Stunde, da dieses Gespräch stattfand, saßen in dem getäfelten und mit alten Schlachtenbildern ausgestatteten Speisezimmer der Leibulanen zwei junge Offiziere beim Frühstück einander gegenüber; es war Karins Vetter, Baron Erich v. Fries, und der Oberleutnant von Hollersleben. Vor ihnen auf dem schneeigen Damast des Tischtuches stand eine Flasche alter Madeira, der sie von Zeit zu Zeit zusprachen.

„Na, also Prost!” rief Hollersleben. „Nachdem man so den ganzen Vormittag in Schnee und Kälte draußen herumgetost hat, sckmeckt das Dejeuner prächtig. Wo sind Sie heute abends, Fries?”

„Bin die ganze Woche eingeladcn, Hollerslebcn! Familien mit heiratsfähigen Töchtern reißen sich um mich!”

„Glaub's schon, wenn Sie auch nur gescherzt haben. Schließlich wird der Herr Adjutant doch irgendwo hängen bleiben. Wie wäre es mit der reizenden. schwarzen Herta v. Trollendorf? Papa General, Mama von Haus aus sehr wohlhabend.”

„Ein sehr schönes Geschöpf,” entgegnete Fries, „aber Schwarz ist nicht mein Faible. Ich halte auf Blond,, mein Teurer.”

„Dann haben Sie es ja in der Familie — Cousinchen Karin.”

„Ach, der kleine Grasaffe!”

„Na, hören Sie mal, Fries! Der kleine Grasaffe ist, was Sie nicht bemerkt zu haben scheinen, in den beiden letzten Jahren eine blendende schönheit geworden. Geradezu der Stern der Residenz! Die ganze Garde und die gesamte Regierung lechzt nach einem Blickchen aus ihren Augen. Mann! Wenn ich der Vetter wäre, ich stünde Kopf vor Vergnügen!”

„Das ist ja lächerliche Uebertreibung, Hollersleben. Sie ist ja noch ganz unreif, trägt überhaupt noch kurze Kleider, wenn ich mich nicht sehr irre und hat gar kein Auftreten. Tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich mit Karin in Frieden. Aber das gebe ich Ihnen zu: Es ist zeit, daß ich mich unter den Töchtern des Landes umschaue. Ich bin junggesellenmüde und heiratsreif. Na — übermorgen, auf dem Hofballe, wollen wir beide, Hollersleben, Sie und ich, uns einmal in eine Ecke klemmen und das gesamte Mädelvolk Revue passieren lassen. Jetzt aber dabe ich ausgetrunken und muß zu Großmama, kleine Anleihe entrieren. Die alte Dame hat genug des schnöden Mammons und ich leide daran üblen Mangel.”

„Glücklicher! Sie wissen gar nicht, wie gut Sie dran sind: Rechts die niedlichste Cousine, links die wohltätigste Großmama — nun, ich komme Ihnen meinen Rest: Sie sollen leben, blühen und gedeihen!”

„Danke,” sagte Erich v. Fries, indem er dem Kameraden die Hand über den Tisch reichte, — „und auf Wiedersehen, alter Kerl.”

„Wiederschauen, wiederschauen!” —

Zwei Tage waren vergangen, und die herzogliche Hofburg schwamm in einem wahren Meer von Licht. An den Pforten und auf den Treppen standen reichgallonierte Diener, gepudert, schimmernd von Goldtressen auf den roten Samtröcken. Auf der Empore des Muschelsaales spielte das Musikkorps des herzoglichen Leibinfanterieregimentes. Unten aber. in den herrlichen Sälen, wogte eine bunte Menge, funkelnd im Schmucke der Edelsteine, der Orden, der Stickereien und Uniformen. Jetzt klopfte der Oberkammerherr mit dem weißen Stäbe, das Orchester brauste in einer Fanfare auf, und dann erschien der Hof unter Vorantritt der Hofchargen.

Während die Jugend sich im Tanze vergnügte, war eine alte Dame in eine Nische der Arkaden des Ballsaales getreten und hatte sich dort auf einem Fauteuil niedergelassen: es war die Exzellenz Fries, Karins und Erichs Großmutter, die erste Hofdame der Herzogin; das goldene Lorgnon vor den Augen, sah sie lange dem Tanze zu, plauderte auch hin und wieder mit Kammerherren, die respektvoll der alten Dame ihr Kompliment machten. Als eine kurze Pause im Tanze eintrat, flog ein liebliches Mädchenbild an ihrc Seite.

„Großmuttchen — es ist herrlich!”

Frau v. Fries strich der Enkelin liebevoll über das blonde Haar und wollte soeben einige Fragen an sie richten, als die hohe Gestalt des Herzogs quer durch den Saal gerade auf den Fauteuil zugeschritten kam. Frau von Fries erhob sich, Karin trat ein wenig zurück.

„Was höre ich?” sagte der hohe Herr zu der alten Dame, „Sie wollen den Hofdienst quittieren? Die Herzogin teilte es mir soeben mit!”

„Wenn Hoheit allergnädigst gestatten!”

„Aber warum, liebste Fries? Ich kann mir unseren Hof gar nicht ohne Sie vorstellen. So lange ich lebe, kenne ich Sie. liebe alte Freundin!”

„Hoheit sind überaus gnädig — ja, ich bin mit dem Hofe innig seit vierzig Jahren verwachsen — aber eben dieses ist es — die Jahre, Hoheit. Ich bin über siebzig und fange an, müde zu werden.”

„Dann dürfen wir Sie freilich nicht halten, und wann gedenken Sie zu resignieren?”

„Schon heute, Hoheit.”

„O, o! — Dann wäre dies also Ihr letzter Hofball! — Sagte mir die Herzogin nicht, daß Sie Ihre Enkelin heute eingeführt haben?”

Karin machte einen tadellosen, tiefen Hofknix, der Herzog winkte ihr freundlich mit der Hand.

„Le roi est mort, vive le roi,” lächelte er. „Der Name Fries erlischt, um sofort wieder aufzuleben. Sie haben für würdigen Ersatz gesorgt, meine liebe Exzellenz! — Aber nun eine letzte Bitte, ein letzter bescheidener Befehl, meine alte Freundin: die Quadrille beginnt, und zu dieser bitte ich Sie, mir die Ehre des Tanzes zu schenken. Als Visavis bestimme ich aber Ihre liebe, kleine Enkelin und meinen Sohn!”

Der Lancier begann mit rauschendem Allegro. Die Augen des ganzen Hofes waren auf das Mittelquarré gerichtet, in dem die höchsten Personen tanzten, um einer treuen Dienerin die Abschiedsehren zu erweisen, und in dem eine entzückende Blondine an der Hand des Erbprinzen den Reigen schlang.

Auch Erich v. Fries sah es, in einer Saalecke neben seinem Kameraden Hollersleben stehend, mit offenem Munde.

„Sie machen kein sehr geistvolles Gesicht. Frieschen,” spottete der Oberleutnant. „Sehen Sie vielleicht Wunder? Oder gar einen Grasaffen? He?? Nun — wer hat recht behaltcn? Wie? Mit einem Schlage die erste Dame des Hofes! Mir nichts, dir nichts im herzoglichen Viereck! Armer Fries! Jetzt wird sie wohl den naseweisen Vetter als Luft behandeln! Aber ich weiß. was ich tue — ich lasse mir die nächste Quadrille von ihr schenken, wenn sie überhaupt noch Platz auf ihrer Tanzkarte hat. Ja — das tue ich — bei allen Göttern!”

„Das werden Sie nicht tun!” rief der Adjutant der Leibulanen, der jetzt aus seiner Versteinerung auffuhr, „das werden Sie nicht tun. Ich bin Karins Vetter und habe ein Vorrecht auf alle Tänze dieser lieblichen Sylphide. Jetzt weiß ich es ganz genau — ich habe sie von jeher angebetet, und keine andere wird meine Frau als diese süße Maus.”

Sobald der Lancier zu Ende war, sprang er zu Karin hinüber und erhielt — sie konnte ihm ja nichts abschlagen — alle noch freien Tänze. Erich strahlte vor Entzücken. Karin strahlte, die Großmutter lächelte.

„Wenn ihr zufrieden seid, Kinder — gut! Ich bin es auch. Und ich bin dankbar dem Geschicke, daß es alles so fügte und in denselben Stunden Abendröte und Sonnenaufgang hineinlegte: Gleichzeitig der erste und der letzte Hofball.”

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